Der Oybin – ein Stein und tausend Geschichten

Das letzte Wölkchen Schmalspurdampf ist verflogen. Die Sicht wird klarer. Schon beginnt das große Rätseln. Ist es ein versteinerter Bienenkorb? Ein schlafender Riese? Oder vielleicht doch ein Urahne des Michelin-Männchens? Wenn man den Berg Oybin das erste Mal sieht, kommen einem die verrücktesten Gedanken. Genauso verrückt wie seine Gestalt sind auch seine Geschichten. Und je näher man ihm kommt, desto lauter werden sie – die Stimmen der Vergangenheit.

Nur Mut! Presst man seine Ohren nur fest genug an den kühlen Sandstein, so kann man sie hören: Die Jäger, die ihren Landsherren Qualo von Leipa nach der Hatz nicht nur mit einem mausetoten Bären beglückten, sondern auch mit der Botschaft “den besten Platz zu einem Hause” gefunden zu haben – den Oybin;  die tobenden Raubritter, die im 13. und 14.  Jahrhundert hier ihr Unwesen trieben; die hastigen Schritte zu Tode geängstigter Jungfern, die sich der Sage nach mit einem tapferen Sprung hinab vor schnapsnasigen Junkern und anderen übergriffigen Unholden das Leben retteten.

Genauso wie unsereins heute schien auch Kaiser Karl IV. seines Atems beraubt, als er dieses magische Fleckchen Erde erblickte. Ja, er war gar so verliebt, dass er entschied dem Mönchsorden der Cölestiner auf dem Oybin ein Kloster (1369) errichten zu lassen. Alles musste passen. Beim Bau der Klosterkirche überließ der Kaiser nichts dem Zufall und beorderte – so nimmt man an – mit der Prager Dombauhütte der Parler das Who is Who der Architekten des Heiligen Römischen Reiches. Das Steineschleppen lastete auf den Schultern des Fußvolks. 125 Jahre und einige Eroberungsversuche später verlässt der letzte Mönch das Kloster. Die Tage des Gebets in luftiger Höhe waren gezählt. Ein dunkles Kapitel brach an. 1577 schickte Mutter Natur ein heftiges Gewitter über den Berg. Mehrere Blitzeinschläge und ein verheerendes Feuer verwandelten Kloster und Burg in Ruinen, Schutt und Asche.

Und dann ward es recht still um den Oybin. Erst 200 Jahre später wehte wieder frischer Wind durch die Biografie des grauen Riesen. Vor allem das talentierte Händchen des frühromantischen Malergenies Caspar David Friedrich bescherte den Ruinen einen neuen Hype. Seine Oybin-Werke lassen keine Zweifel: Dieser Berg legt sich auf’s  Herz. Es ist wahr. Über der Arbeit an seinem Bild “Eule im gotischen Fenster” erlitt der Meister einen Schlaganfall.

Ein Stein mit tausend Geschichten, schön und schaurig zugleich. Seid gespannt, welche er euch erzählt. Nur Mut!

Foto: Wolfram Storch

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